Der Vorstich in den Textilien von Hallstatt
Die Textilfunde aus dem Salzbergwerk von Hallstatt zählen zu den wichtigen archäologischen Belegen für die Textilverarbeitung in der Bronze- und Eisenzeit. Sie liefern wertvolle Informationen über Webtechniken, Materialien und Nähte, die verwendet wurden um die Kleidung der Kelten herzustellen. . Eine Nähtechnik ist der Vorstich, der in wenigen Fragmenten nicht nur als funktionale, sondern auch als dekorative Naht erkennbar ist.
Der Vorstich – Ausnahme oder Regel?
Der Vorstich ist eine der einfachsten Handnähte und gehört zu den grundlegenden Techniken in der Textilverarbeitung. Dabei wird die Nadel in regelmäßigen Abständen von unten nach oben und von oben nach unten durch den Stoff geführt, sodass auf der Oberseite eine gleichmäßige, aber unterbrochene, gestrichelte Linie aus sichtbaren Stichen entsteht.
Dennoch bleibt der Vorstich eine Ausnahme. Die dominierende Nahttechnik in Hallstatt ist der Überwendlingsstich, der sowohl zum Versäubern der Stoffkanten als auch zum Zusammennähen von Gewebeteilen eingesetzt wurde. Diese Nahtform bleibt über viele Jahrhunderte hinweg in der Textilverarbeitung aller Epochen vorherrschend.
Obwohl der Vorstich in den Hallstätter Funden vorkommt, gibt es keine Hinweise darauf, dass er weit verbreitet war oder systematisch als Verzierung oder Verbindungsnaht eingesetzt wurde. Er bleibt demnach eine seltene Erscheinung in der erhaltenen Textilarchäologie der Keltenzeit.
Der Vorstich in der historischen Textilverarbeitung
Der Vorstich ist in vielen Kulturen als grundlegende Nähtechnik bekannt und wurde über verschiedene Epochen hinweg genutzt. Seine einfache Ausführung macht ihn ideal für provisorische Nähte, Heftnähte oder dekorative Stiche. Allerdings ist er weniger stabil als andere Nahtarten und wurde daher auch durch eine weitere Naht mit Überwendlingsstich ergänzt (Textilfunde aus Haithabu).
Die dekorative Nutzung des Vorstiches in Hallstatt ist daher besonders interessant, da sie zeigt, dass auch einfache Stiche gelegentlich gestalterisch eingesetzt wurden.
Historische Funde und ihre Grenzen
Aber heißt das jetzt, dass man einen Zierstich überall an einem Kleidungsstück verwenden kann, nur weil er in einem Fundstück nachgewiesen wurde? Ich sehe das etwas streng und sage: Nein. Ein einzelner Fund bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine bestimmte Technik weit verbreitet war oder systematisch in der Kleidungsgestaltung eingesetzt wurde.
Die Interpretation archäologischer Textilien erfordert immer eine genaue Betrachtung des Kontexts:
- Wo wurde die Naht angebracht?
- Welchen Zweck erfüllte sie?
- Gibt es vergleichbare Funde aus derselben Zeit oder Region?
Diese Fragen sind entscheidend, um textile Rekonstruktionen möglichst fundiert und authentisch zu gestalten. Doch das ist ein Thema für einen anderen Blogartikel.
Quelle:
Karina Grömer, (2010),
Prähistorische Textilkunst in Mitteleuropa: Geschichte des Handwerdes und der Kleidung vor den Römern, Naturhistorisches Museum Wien
Karina Grömer, Anton Kern, Hans Reschreiter, Helga Rösel-Mautendorfer, (2013), Textiles fromm Hallstatt. Weaving Culture in Bronze and Iron Age Salt Mines. Textilien aus Hallstatt. Gewebte Kultur aus dem bronze- und eisenzeitlichen Salzbergwerk